Unser Redebeitrag von der Demonstration anlässlich des „NSU 2.0“-Prozessauftakts:

Nicht nur Polizei und Geheimdienste, auch die deutsche Justiz ist durchzogen von faschistischen und rassistischen Kontinuitäten. Zwei wirkmächtige Narrative der deutschen Erinnerungskultur lassen sich in etwa so zusammenfassen: „Mein Großvater war im Widerstand“ und „Der NS-Faschismus endete 1945“. Ebenso wie das Großvaternarrativ, ist auch letzteres an Naivität kaum zu überbieten. Nach der Gründung der BRD 1949 waren viele derer, die sich zuvor stahlhelmtragend an den Schrecken der NS-Herrschaft beteiligt hatten, noch am Leben. Oft nicht nur am Leben, sondern sogar in Machtpositionen: Bürgermeister, Polizisten, Politiker und ja, besonders auch Richter, Staatsanwälte und Justizangestellte. 

In einer von der Bundesanwaltschaft (!) in Auftrag gegebenen Studie kommen die Rechtswissenschaftler Safferling und Kießling zu den Ergebnissen, dass im Zeitraum von 1950 bis 1974 satte 91 Prozent der Bundesanwälte frühere NSDAP-Mitglieder waren. Ein Bruch mit der NS-Vergangenheit, so schreiben sie weiter, habe nicht stattgefunden. Es wäre erst gar nicht versucht worden, nach unbelastetem Personal zu suchen. Wenig überraschend widmeten sich diese Bundesanwälte stärker dem Kampf des Antikommunismus als der Entnazifizierung. Die Autoren schreiben in diesem Fall über die Bundesanwaltschaft, doch bei auch bei Richtern gestaltet sich das Bild kaum anders.

In einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt die Geschichtswissenschaftlerin Dr. Christine Schoenmakers: die Wiedereinstellung des „belasteten“ Personals, also solchen mit NSDAP-Hintergrund, in den Justizapparat seit nach 1945 nur eine Frage der Zeit gewesen. Die sogenannte „Huckepack-Regel“ der britischen Besatzungsmacht erlaubte es, für jeden „unbelasteten“ Juristen jeweils einen „belasteten“ Juristen einzustellen. Selbst in Fällen, in denen die Besatzungsmächte  einen Versuch unternahmen, die Justiz zu entnazifizieren, waren also mindestens die Hälfte des Justizpersonals von einer Mitgliedschaft der NSDAP gekennzeichnet. 

Ferner stellt Schoenmakers am Beispiel Bremens dar, wie bereits 1947 die Entnazifizierung zu einem Prozess bloßer Geldstrafen verkam und „belastetes“ Personal schon ab diesem Zeitpunkt wieder realistische Chancen auf Einstellung hatte. Sie konstatiert:

„Das Gros der Entnazifizierten kehrte wieder in wichtige gesellschaftliche Positionen zurück und richtete sich in den neuen politischen Verhältnissen ein. Mit ihnen kam es zu einer Restauration langlebiger personeller Strukturen. Insbesondere, wenn es galt, den ‚alten Kameraden‘ zu neuen Ämtern zu verhelfen, trugen die Netzwerke von damals auch nach der angeblichen ‚Stunde null‘. Zugleich hatte das Ideal der ‚Volksgemeinschaft‘ für viele Zeitgenossen nichts an seiner Verheißungskraft eingebüßt.“

Dass Richter nach 45 daher weitestgehend problemlos ihre richterlichen Tätigkeiten fortsetzen konnten, lässt für den Justizapparat wenig Gutes vermuten. Die Kontinuitäten des Nationalsozialismus von Per-sonal und Gedankengut deuten auch auf ein massives Problem des gegenwärtigen Justizapparates hin.

Dieselben Richter, die als NSDAP-Mitglieder antisemitische, rassistische und widerwärtige Rechtsprechung getätigt hatten, waren die Mentoren für die darauffolgende Generation an Richter*innen. 

Kein Wunder also, dass ein AfDler, den selbst der Verfassungsschutz als rechtsradikal einstuft, nach dem Ende seiner Abgeordnetentätigkeit relativ problemlos Weiterbeschäftigung als Richter oder zumindest Ruhestand bei vollen Bezügen erwarten kann. Kein Wunder also, dass Staatsanwält*innen regelmäßig Hassverbrechen nicht zur Anzeige bringen. Kein Wunder also, dass Rätsel um die Attentate des NSU, den 19. Februar, die Nachrichten des NSU 2.0 und so viele andere ungeklärte Vorfälle bleiben. 

Rechte Netzwerke innerhalb der Polizei, Ermittlungspannen und verschwundene Beweisstücke sind kein Zufall. Sie sind die Konsequenz eines gesamten Systems, welches nie wirklich entnazifiziert wurde. Diese Vorfälle sind die Konsequenz von nie wirklich aufgearbeiteten Kontinuitäten der deutschen Geschichte. Die deutsche Justiz ist weiterhin strukturell rechts, sieht den Feind stets links und wird dem Konzept von Gerechtigkeit nur selten gerecht. Das Ende des Zweiten Weltkriegs hat für die Justiz weder eine Zäsur noch einen Bruch bedeutet, sondern lediglich eine kurze Werbeunterbrechung.  Polizei, Richter*innen und der Rest des Apparates sind strukturell unverändert rechts. Deshalb sind wir heute hier und auch das klagen wir an.