Liebe Genoss*innen,

ich bin vom Arbeitskreis 100 Jahre Antifa und begrüße euch herzlich am Vorabend des 8. Mais, dem Jahrestag der Befreiung vom deutschen Faschismus, hier in Frankfurt am Saalbau im Gallus. Dem Ort, an welchem Günter Sare am 28. September 1985 durch Polizeigewalt ums Leben kam. Dem Ort, wo sich die hässliche Fratze der staatlichen Exekutiven auch letzten Samstag erneut zeigte.

100 Jahre Antifa, was bedeutet das eigentlich für uns? Haben wir heute überhaupt noch etwas mit den ersten antifaschistischen Gruppen, den arditi del popolo gemein? Wir, die wir in den ausweglosen Zurichtungen des Spätkapitalismus, zwischen Lohnarbeit und Selbstoptimierungszwängen noch versuchen Zeit für eine emanzipatorische Politik zu finden? Wir, die wir uns doch ab und zu fragen müssen, welcher normal-sterbliche Mensch es sich nach 8 Stunden Maloche, neben Care-Arbeit, Uni-Stress und den anstrengenden Tätigkeiten der täglichen Reproduktionsarbeit antut, sich abends ausgelaugt und übermüdet in ein dreistündiges Plenum zu setzen? Stunden der eigenen Freizeit werden Abends und am Wochenende geopfert, um im Umkehrschluss auf Monate und Jahre an politischer Arbeit zurückzublicken mit der ernüchternden Feststellung, vielleicht doch nicht so viel wie erhofft bewirkt zu haben. Die persönliche Desillusionierung kann schwer wiegen und viele Genoss*innen haben ihrer wegen bereits die politische Arbeit auf- und den Rückzug ins Private angetreten. Die eigene Ohnmacht ist manchmal riesig und die Macht derer, die diese erst auslösen umso größer.

 

Brecht sagt in seinem Gedicht An die Nachgeborenen: „Ich vermochte nur wenig, doch die Herrschenden saßen ohne mich sicherer.“ Wir gehen permanent Risikos ein, machen uns strafbar. Stellen uns Nazischlägern in den Weg und bekommen unter dem Applaus des Autonormalbürgers nur allzu oft die volle Härte des Gesetzes in Form von Repressalien zu spüren. Vom prügelnden Demobullen – der sich bereits durch ein paar gezündete Rauchtöpfe genötigt fühlt, Köpfe einzuschlagen – bis hin zu den an überzogenen Urteilen und Strafbefehlen statuierenden Richter*innen und Staatsanwält*innen – den Herrenmenschen in Uniform und schwarzer Robe bleiben wir ein Dorn im Auge und das spricht wiederum für uns! Und all das nur, weil wir in den komplexen politischen Gemengelagen die richtigen Rückschlüsse treffen und nach oben, anstatt nach unten treten. Neben all den Utopien, die wir uns täglich erträumen und die wir in theoretischen Abhandlungen und Diskussionen mal Kommunismus, mal Anarchismus taufen, bleibt unser Ziel letzten Endes ein großes Paradox.

Denn das Ziel der antifaschistischen Arbeit ist logischerweise die eigene Selbstauflösung, die Hoffnung, in besseren Zeiten nicht mehr auf die Straße, ins Plenum und auf die nächtliche Sabotageaktion oder Stadtverschönerung gehen zu müssen. Und solange wir dieses Ziel, nämlich den Umsturz der kapitalistischen Verhältnisse nicht erreicht haben, werden wir damit auch nicht aufhören!

Hinter uns stehen Strukturen die uns gut tun und uns Halt geben, die nach außen hin aber oft unsichtbar bleiben. Angefangen bei der Orga der nächsten Soliparty, über den Tresen bei der Küfa, bis hin zur juristischen Beratung und Prozesskostenhilfe der Roten Hilfe. Euch sind wir zu enormen Dank verpflichtet. Danke, Antifa ist und bleibt Ehrenamt – im doppelten Sinne!

Und Antifa bleibt auch Care-Arbeit, oder besser, Sorge tragen füreinander – ein Aspekt der leider immer noch viel zu sehr vernachlässigt wird. Egal ob bei den eigenen Genoss*innen, oder den sich allein gelassen fühlenden linken Jugendlichen im Hinterland. Hier heißt es: offen sein, hin hören und Hilfe anbieten. Ob in der Krise oder nach ihr, auf die persönlichen Ängste muss adäquat reagiert werden. Bei den vielen Erscheinungsformen von menschlicher Unterdrückung, ist es neben der subjektiven Lebensbewältigung leider oft schwierig, ein eigenes Maß an Sensibilität an den Tag zu bringen und es gelingt nicht immer, auf Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus oder Sozialchauvinismus zu reagieren und demnach angemessen mit Menschen umzugehen. Antifa heißt hier auch Selbstreflexion, wir sind durch die Gesamtscheiße sozialisiert, was ebenso heißt, dass wir auch Verhaltensformen aus ihr aufgenommen haben. Vor euch möchte ich jedoch über ganz andere Privilegien sprechen, denn wir sollten uns selbst klar werden, dass autoritäres Auftreten, Wissenshierarchien, männliches Antifa-Mackertum und das Abtauchen in die linke Szeneblase unserer Sache nur im Wege stehen.

Antifa bleibt natürlich auch Handarbeit. Unser Kampf nimmt viele Formen an, ob pazifistisch oder militant und besonders bei letzterem haben wir im Gegensatz zu den meisten Liberalos verstanden, dass mit Nazis reden nicht die Lösung seien kann. Ihr martialisch-sozialdarwinistisches Denken ist von Gewalt geprägt und eine andere Sprache verstehen sie nicht. Wir ziehen die realen Konsequenzen aus der Geschichte und stellen uns gegen die Heuchelei der deutschen Erinnerungskultur. Es reicht nicht wie die bürgerliche Gesellschaft irgendwie gegen Nazis zu sein. Vor allem nicht bei einem Staat, der durch den Verfassungsschutz die faschistische Mörderbande mit Namen NSU quasi aufgebaut hat.

Und während die etablierte Parteienpolitik die fortschrittlichen Kräfte in den kurdischen Autonomiegebieten im Stich lässt und lieber mit der faschistischen Regierung in der Türkei oder dem Holocaustleugner-Regime im Iran paktiert, lassen wir uns von ihren fadenscheinigen Lippenbekenntnissen nichts mehr vormachen. Wir die wir die Zeichen der Zeit und den weltweit erstarkenden Rechtspopulismus ernst nehmen und entsprechend reagieren. Und hier schließt sich auch wieder der Kreis zwischen uns und den Arditi del popolo. Jene italienische Gruppen, die rechtzeitig bei Erstarken des Faschismus diesem den Kampf ansagten. An ihnen sollten wir uns besonders hier in Deutschland ein Beispiel nehmen.

Die die wir wissen, wozu dieses Land und Volk fähig sind, denn was einmal passierte, kann sich ständig wiederholen! So soll die bürgerliche Mitte ruhig „irgendwie“ gegen Nazis sein und weiter Hufeisen biegen. Adornos Imperativ: „.. dass Auschwitz nie wieder sei!“ bleibt unsere oberste Prämisse, denn Antifa ist kein Lifestyle, sondern eine moralische Verpflichtung!
Und vielleicht kommen in den nächsten hundert Jahren all die Demokraten und selbsternannten Humanisten auch mal auf den Trichter und lernen: „Danke, liebe Antifa!“ zu sagen. Alerta Antifascista!

Foto: Joe Pohl